Vom Unsinn politisch motivierter
Straßenumbenennungen
„Heute
benennen wir Straßen oder Schulen mit
unserem heutigen Wissen und unserer heutigen Moral“ - so war es
kürzlich in
einem Kommentar über Umbenennungen aus politischen Gründen zu lesen.
Wohlgemerkt: Politische Gründe. Es geht nicht um Verbrecher, die
nachweislich
anderen Menschen geschadet haben. Es geht um solche Fälle, wo Personen,
die als
Namensgeber von Straßen fungieren, sich in einem früheren politischen
System
scheinbar nicht nach unseren heutigen Moralverständnis verhalten haben.
Oder -
wie es jemand anders formuliert hat - um Personen, die in unserer
heutigen
Gesellschaft nicht als politisches Vorbild dienen können. Das klingt ja
zunächst sehr gut.
Aber
was ist denn der Hintergrund von Straßenbenennungen? Steht dabei stets
die
politische Haltung eines Menschen im Vordergrund? Ist die bedeutendste
ostpreußische Dichterin Agnes Miegel wegen ihrer politischen
Einstellung im
Kaiserreich, in der Weimarer Republik, während der NS-Zeit und in der
Bundesrepublik als Namensgeberin
für zahlreiche Straßen ausgewählt worden? Wohl kaum. Sie wurde
ausgewählt,
weil sie eine bedeutende Schriftstellerin war. Mithin gilt sie als die
bedeutendste deutsche Balladendichterin im 20. Jahrhundert.
Wenn
die politisch-moralische Vorbildfunktion
wirklich die Maßgabe unseres Handelns bei der Benennung von Straßen
sein soll,
wie ist es dann zu erklären, dass es vielerorts Straßen gibt, die nach
dem
Komponisten Richard Wagner benannt sind? Niemand würde auf den Gedanken
kommen,
eine Richard-Wagner-Straße umzubenennen, obwohl der Komponist
gleichzeitig
einer der bekanntesten und überzeugtesten Antisemiten des 19.
Jahrhunderts war.
Richard Wagner gehört aber zu den bedeutendsten Komponisten, welche die
Musikgeschichte zu bieten hat. Dafür wird er zu Recht geehrt - mag er
auch
vielleicht ein unsympathischer und, aus heutiger Sicht, politisch
bedenklich
handelnder Mensch gewesen sein. So war es völlig richtig, dass der
Dirigent
Daniel Barenboim (selbst jüdischer Herkunft) sich dafür einsetzte, die
Werke
Richard Wagners auch in Israel aufzuführen - und dieses gegen alle
Widerstände
durchsetzte.
Oder
nehmen wir den als so fortschrittlich geltenden
Dichter und Zeichner Wilhelm Busch. In seiner Bildergeschichte Plisch
und
Plum findet sich in mehreren Zeichnungen geradezu der Archetyp des
hässlichen
Juden, dazu folgender Text: Augen schwarz und Seele grau, Hut nach
hinten,
Miene schlau - So ist Schmulchen Schievelbeiner, (Schöner ist doch
unsereiner!).
Nach der Argumentation jener, die bei der Straßenbenennung eine
politisch-moralische Vorbildfunktion voraussetzen, müßten
Wilhelm-Busch-Straßen
umgehend umbenannt werden, denn die offenbar judenfeindlichen
Äußerungen sind
wohl kaum mit „unserer heutigen Moral“ in Einklang zu bringen. Straßen
wurden nach Wilhelm Busch aber wegen seiner genialen literarischen und
zeichnerischen Werke benannt. Daß er antisemitische Tendenzen zeigt,
weist ihn
lediglich als Kind seiner Zeit aus.
Im
übrigen muß man nach den Gesamtauswirkungen solcher Straßenbenennungen
nur
bei Vorbildcharakter der namensgebenden Person fragen. Würden etwa alle
prominenten Namensgeber in ganz Europa, die im 19. Jahrhundert eine
antisemitische Haltung gezeigt haben, aussortiert werden, so müßten
wohl die
meisten Straßenbenennungen dieser Zeit geändert werden. Man kann das
natürlich tun. Es bedeutet aber, daß viele der bedeutendsten
Kulturschaffenden
nicht mehr geehrt und dem Vergessen anheim gegeben werden. Das wäre der
Weg hin
zu einer geschichtslosen Gesellschaft, die auch auf die Erinnerung an
viele
ihrer bedeutendsten Gestalten aus Kunst und Literatur verzichtet.
Agnes
Miegel hat sich übrigens nie antisemitisch geäußert oder die
Herabsetzung
politisch Andersdenkender betrieben.
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