Agnes Miegel in der NS-Zeit: Sie veröffentlicht mutig ihre Vorahnungen von Weltenbrand und Verlust ihrer Heimat Ostpreußen (Textauszug der Agnes-Miegel-Dokumentation mit Einzelnachweisen) In der neuesten
Fassung des
Internet-Laienlexikons "Wikipedia" wird der
Dichterin Agnes Miegel gleich zu Beginn des Abschnittes Verhältnis
zum
Nationalsozialismus eine "unkritische und befürwortende Haltung
gegenüber dem Nationalsozialismus" vorgeworfen. Man
beruft sich dabei auf ein paar lange bekannte Gedichte, die Agnes
Miegel
im Auftrag des NS-Regimes geschrieben hatte. Welche
Konsequenzen die Verweigerung solcher Aufträge in der NS-Diktatur
haben konnte, braucht hier wohl nicht näher erläutert zu werden.
Trotzdem
gelingt es Agnes Miegel, sich Freiräume zu verschaffen. So sagt sie in
dem
Gedicht Dem Schirmer des Volkes aus dem Jahre 1939, das
natürlich auch
die von Goebbels erwarteten Elogen an Hitler enthält, nichts weniger
als den
nahenden Weltenbrand und Untergang voraus:
....
Wenn
aus deinem First die Flammen steigen
wird
des weißen Mannes Welt entbrennen
wenn
sich deine Sonnenfahnen neigen
sinkt
die Nacht über das Abendland!
....
Ein
Jahr später, also noch vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion,
prophezeit Agnes Miegel in einem Sammelband des Diederichs-Verlages
auch den
bevorstehenden Verlust ihrer Heimat Ostpreußen:
Und
so sage ich jetzt, wo der Abschied näher kommt zu dem Land zwischen
Weichsel
und Memel, wie der Samurai zu der edlen Braut, der er sich vor dem
Schrein
seiner Ahnen verlobt: ich vermähle mich dir für die nächsten vier
Inkarnationen. (1)
Eine
Vorahnung der
Flüchtlingsströme aus dem
"Ostland" findet sich in der Ballade Nachtgespräch (An Heinrich
den Löwen), ebenfalls aus dem Jahre 1940:
.....
Ich
höre es fern, ich höre es bang,
wandernder
Füße rastlosen Gang.
Hör
Hufe klopfen und Räder knarren,
hör
wieder Wagen an Wagen fahren -
durch
der blassen Schneenacht Dämmerung
klingt
wieder der Ruf der Wanderung! -
Ostwind
trägt mir ihr Rufen zu,
Ostwind
weckt mich aus steinerner Ruh --
O
großes Herz, das gelassen trug,
was
Leid und Neid ihm an Wunden schlug , -
vernimm
deines Ostlands versinkenden Ruf,
du,
der es erschuf!
.....
Weltenbrand, Verlust der Heimat, deutsche Flüchtlingsströme - sieht so Propaganda für den "Größten Feldherrn aller Zeiten" aus? Zahlreiche Ehrungen für die Dichterin auch während des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland Daneben
verwechselt Wikipedia fast durchgängig das aktive Verhalten Agnes
Miegels in
der NS-Zeit mit dem Verhalten der NS-Führung Agnes Miegel gegenüber. So
heißt
es bei Wikipedia, Agnes Miegel sei 1933 Mitglied der Preußischen
Akademie der Künste
geworden und habe dann das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf
Hitler
unterzeichnet.
Richtig
ist stattdessen, daß die bedeutendste deutsche Balladendichterin des
Kaiserreiches und der Weimarer Republik 1933 in die gleichgeschaltete
Sektion der
Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste berufen wurde.
Damit war
zwangsläufig auch ein Treueid auf Hitler verbunden. (2)
Vorgeworfen
wird Agnes Miegel auch im weiteren Verlauf des Textes das Verhalten
anderer. So
habe sie 1940 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt erhalten und sei
1944 in die
"Gottbegnadetenliste" der sechs wichtigsten deutschen Schriftsteller
aufgenommen worden - übrigens zusammen mit Literaturnobelpreisträger
Gerhart
Hauptmann. Offensichtlich soll sich hier der Künstler dafür
rechtfertigen, daß
er von Institutionen einen Preis verliehen bekommt. Das ist genau so
verrückt,
als würde man den Komponisten Richard Wagner posthum dafür tadeln, daß
Hitler und die Nazi-Führungsriege seine Werke über alles
liebten.
Als
um 1900 in Berlin Börries von Münchhausen ihre handschriftlichen
Gedichte und
Balladen liest, erkennt er sogleich: Dies ist eine der ganz großen
Dichterinnen unseres Volkes. Agnes Miegel ist der größte lebende
Balladendichter unseres Volkes. So erscheint durch Münchhausens
Vermittlung
1901 ihr erstes eigenes Buch - ein Band mit Gedichten und Balladen -
bei dem
ehrwürdigen Klassiker-Verlag Cotta. Es ist also nicht mehr als ein
albernes
Wikipedia-Märchen, daß Agnes Miegel erst in der Zeit des
Nationalsozialismus
"groß herausgekommen" sei.
Agnes Miegel im Jahre 1901: "Der größte lebende Balladendichter unseres Volkes" Agnes
Miegel wurde im Kaiserreich (1916: Kleist-Preis), während der Weimarer
Republik
(1924: Ehrendoktorwürde der Universität Königsberg), in der NS-Zeit und
in
der Bundesrepublik (1959: Literaturpreis der Bayerischen Akademie der
Schönen
Künste) gleichermaßen hoch geschätzt. (3) An
ihrem Alterswohnsitz in Bad Nenndorf bei Hannover empfing sie viele
prominente
Besucher und Verehrer aus Literatur und Politik, darunter im Juni 1961
Willy
Brandt, damals Kanzlerkandidat der SPD und Regierender Bürgermeister
von
Berlin. Mehr zum Besuch Willy Brandts bei Agnes Miegel finden Sie hier:
Agnes
Miegel im Jahre 1902
Rassismus, Antisemitismus und die Herabsetzung politisch Andersdenkender kommen im Werk Agnes Miegels nicht vor Eine
"Hinwendung zu Blut-und-Boden-Themen", wie von Wikipedia behauptet,
gibt es bei Agnes Miegel nicht. Sie ist ein bloßes Klischee. (4)
Agnes Miegel hatte ihren Stil, der stets geprägt war durch
die Liebe zu
ihrer Heimat Ostpreußen, schon lange vor der Machtergreifung der Nazis
entwickelt.
Rassismus, Antisemitismus oder die Herabsetzung politisch Andersdenkender finden sich an keiner Stelle ihres umfangreichen Werkes. (5) Sie hatte einen jüdischen Freundeskreis. Ihre politische Toleranz kommt anschaulich in einem Brief an Lulu von Strauß und Torney aus dem Jahr 1923 zum Ausdruck. Sie empfindet negativ die immer krasser deutschnationale Haltung der Zeitung, für die sie arbeitet, und wenn auch viele der Menschen, die sie am höchsten achte rechts stehen würden, so muß sie doch bekennen: ...ich stehe innerlich nicht zu ihrer Sache, wie sie sich auswuchs. Und sie bemerkt: Links steht neben vielem, was mir fremd ist, doch das, dem die Zukunft gehört. (6) Agnes Miegel wurde übrigens erst 1940 - wie weit unter politischem Druck? - Mitglied der NSDAP. Das spricht wohl eher für eine weitgehend unpolitische Haltung der Dichterin. (7) Innerhalb ihrer freundschaftlichen Verbindungen verwendete Agnes Miegel nie den "Deutschen Gruß". Wenn sie mit "Offiziellen" ein wenig bekannter war, bestellte sie herzliche Grüße oder Gott ergebenen Gruß - obwohl der "Hitlergruß" die für alle verpflichtende Grußform in der Zeit der NS-Diktatur war. Es steht fest, daß Agnes Miegel zeitlebens eine gläubige Christin war und auch in den Jahren 1933-45 nie von der Kirche und ihrem Glauben abrückte oder gar Zugeständnisse machte. (8) Auch diese Tatsachen unterschlägt Wikipedia. Entnazifizierungs-Urteil für Agnes Miegel: Unbelastet. Sowohl Motive wie Handlungen haben niemals NS-Geist verraten. Nach
1945 schlug die Stunde der
"Wendehälse", die im Rahmen ihrer Entnazifizierungsverfahren
behaupteten, eigentlich immer schon gegen den Nationalsozialismus
gewesen zu
sein. Agnes Miegel verweigerte sich einer solch verlogenen
"Instant-Entnazifizierung".
(9) Als tief religiöser Mensch sagte
sie über ihr
Wirken in der NS-Zeit: „Dies habe ich mit meinem Gott alleine
abzumachen und
mit niemand sonst.“ Aus diesem Hinweis auf ihr durch den Glauben
bestimmtes
Verhalten konstruiert Wikipedia nun (nach der Änderung des Artikels vom
11.11.2010) dreist ein Eingeständnis "ihrer Verstrickung in den
Nationalsozialismus".
Die
schließlich 1949 erfolgte
Entnazifizierung Agnes Miegels brachte jedoch ein eindeutiges Urteil: Unbelastet.
Wörtlich heißt es: Sowohl Motive wie Handlungen haben niemals
NS-Geist
verraten. (10) Wikipedia hält
dieses
nicht für mitteilenswert.
Keine
Erwähnung findet auch die Tatsache, daß Agnes Miegel während des
"Dritten Reiches" und in der Nachkriegszeit eine freundschaftliche
Beziehung zu Anneliese Goerdeler pflegte. Sie war die Ehefrau von Carl
Friedrich
Goerdeler, eine der zentralen Gestalten des Widerstandes gegen Hitler.
Nach dem
gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er verhaftet und von den
Nazis
hingerichtet. (11)
Agnes Miegel 1946: klare Distanzierung vom Nationalsozialismus, Hoffnung auf ein "neues besseres Deutschland" Die
Behauptung in Wikipedia, die Dichterin habe sich nach 1945 nicht vom
Nationalsozialismus distanziert, ist falsch. Nach
dem Ende des NS-Regimes äußerte Agnes Miegel in einem Brief an ihre
spätere
Biographin Anni Piorreck vom 31.8.1946 aus dem dänischen
Flüchlingslager Oksböl
all ihre Hoffnung auf ein gewandeltes, moralisch handelndes und
bescheidenes
neues Deutschland: ... zum ersten Mal auch faßte ich neuen
Lebensmut durch
die Gewißheit, daß da für Euch Jüngere und Eure Kinder aus aller Unrast
und
aller Not dieser Zeit ein neues besseres Deutschland aufwächst, ein
kleines
armes, aber nicht verarmtes Deutschland, wo jeder Willige seine Arbeit
und sein
Brot finden wird .... Ach
möchte
sich für alle ein Weg finden, an dem Aufbau dieses bescheiden
gewordenen
Deutschlands mitzuarbeiten. (12)
Kein Revanchismus und Revisionismus: Agnes Miegel akzeptiert nach dem 2. Weltkrieg die neuen politischen Verhältnisse in Ostpreußen Revanchistische
und revisionistische Gedanken lagen Agnes Miegel fern. In einem Brief
an die Schriftstellerin Ina
Seidel aus dem Flüchtlingslager Oksböll vom 8. 8.1946 schreibt sie: Ein
Teil meines Herzens starb, als ich von Ostpreußen ging. Nur manchmal
erwacht
etwas. Und als ich neulich hörte (ach, vielleicht wars auch bloß ein
Gerücht), daß viele hundert russische Jungbauern hin sollen, habe ich
zum
erstenmal vor Freude geweint - dann geht doch wieder ein Pflug über die
wüsten
Felder, in den leeren Dörfern werden Menschen wohnen, Kinder geboren
werden,
zwischen den Wiesen und Äckern spielen, Vieh wird brüllen, Hähne werden
krähn - und die Erde wird leben. (13)
"Exklusivbeiträge" Agnes Miegels in der Zeitschrift "Nation Europa" existieren nicht In
verschiedenen Veröffentlichungen ist nachzulesen, Agnes Miegel habe
noch nach
1945 "Exklusivbeiträge" für die stark rechtslastige Zeitschrift Nation
Europa verfasst. Eine Forschungsarbeit aus dem Jahre 2010 widerlegt
diese
Aussagen vollständig: In den Ausgaben der Zeitschrift finden sich
lediglich
wenige Nachdrucke von Agnes Miegel-Gedichten aus damals schon längst
publizierten Gedichtbänden. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Agnes
Miegel
selbst Kontakt mit der Zeitschriften-Redaktion hatte. (14)
Bedeutendstes Agnes-Miegel-Buch wieder erhältlich Im Jahre 2011 verweigerte der Ardey-Verlag aus
Münster die
weitere Verbreitung des Buches "Agnes Miegel. Ihr Leben, Denken und
Dichten
von der Kaiserzeit bis zur NS-Zeit", die bisher wohl beste Darstellung
dieses Themas. Die bedeutendsten Miegel-Kenner weisen hier
wissenschaftlich
fundiert nach, daß man nicht von einer "NS-Dichterin Agnes Miegel"
sprechen kann. Die Verweigerung, das Buch weiter zu verbreiten (nachdem
bereits
Hunderte von Exemplaren ausgeliefert worden waren) hing wohl mit der
Umbenennungskampagne in Münster zusammen. Herausgeberin und
Literaturwissenschaftlerin Dr. Marianne
Kopp
verklagte daraufhin den Verlag wegen Vertragsbruches. Inzwischen wurde
in einem
Vergleich vor dem Landgericht Münster festgelegt, daß der Verlag die
zurückgehaltene
Restauflage unverzüglich freigeben und alle Rechte an der Vermarktung
des
Buches an die Herausgeberin zurückgeben muß. Der Verlag hat zudem den
Großteil
der Kosten der Rechtsauseinandersetzung zu tragen. Jetzt ist das
Buch wieder
erhältlich - und zwar direkt über die literarische
Agnes-Miegel-Gesellschaft,
Agnes-Miegel-Platz 3, 31542 Bad Nenndorf, T.: 05723-917317.
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Ausarbeitung: Detlef Suhr, Agnes-Miegel-Str. 42, 26188 Edewecht |