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Aktuelles über die Dichterin Agnes Miegel (1879-1964) von Detlef Suhr, Pressesprecher der literarischen Agnes-Miegel-Gesellschaft e. V.
   

Stellungnahme und Gutachten der Agnes-Miegel-Gesellschaft in Bad Nenndorf:

Die Dichterin Agnes Miegel während des Kaiserreiches, in der Weimarer Republik, unter der NS-Herrschaft und in der Bundesrepublik Deutschland

Als um 1900 in Berlin Börries von Münchhausen die handschriftlichen Gedichte und Balladen von Agnes Miegel liest, erkennt er sogleich: Dies ist eine der ganz großen Dichterinnen unseres Volkes. Agnes Miegel ist der größte lebende Balladendichter unseres Volkes. So erscheint durch Münchhausens Vermittlung 1901 ihr erstes eigenes Buch - ein Band mit Gedichten und Balladen - bei dem ehrwürdigen Klassiker-Verlag Cotta. Agnes Miegel wurde im Kaiserreich (1916: Kleist-Preis) und während der Weimarer Republik (1924: Ehrendoktorwürde der Universität Königsberg) hoch geschätzt.

Ihre politische Toleranz kommt anschaulich in einem Brief an Lulu von Strauß und Torney aus dem Jahr 1923 zum Ausdruck. Sie empfindet negativ die immer krasser deutschnationale Haltung der Zeitung, für die sie arbeitet, und wenn auch viele der Menschen, die sie am höchsten achte rechts stehen würden, so muß sie doch bekennen: ...ich stehe innerlich nicht zu ihrer Sache, wie sie sich auswuchs. Und sie bemerkt: Links steht neben vielem, was mir fremd ist, doch das, dem die Zukunft gehört. (1)

Die während der Weimarer Republik bedeutendste deutsche Balladendichterin wurde 1933 in die Sektion der Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste berufen. Damit war zwangsläufig auch ein Treueid auf Hitler verbunden. Der bekannte, nicht parteigebundene Schriftsteller Hans Grimm beschrieb ihre Mitgliedschaft 1949 wie folgt: Sie war einer von den Senatoren, nicht etwa von den Gnaden der Partei, sondern gewählt von einem Gremium von Schriftstellern, davon ein Fünftel der Partei äußerlich angehörte aus Idealismus und Hoffnung. Der mühsame Versuch der Akademie, das deutsche Geistesleben frei und unabhängig zu erhalten, hatte ihre überzeugte Billigung. (2) 1940 erhielt Agnes Miegel den Goethepreis der Stadt Frankfurt und wurde 1944 in die sogenannte „Gottbegnadetenliste“ der sechs wichtigsten deutschen Schriftsteller aufgenommen - übrigens zusammen mit Literatur-Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann.

Das literarische Werk und die Korrespondenz der ostpreußischen Dichterin sind frei von Rassismus und Antisemitismus - jene Elemente, ohne die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und Holocaust nicht denkbar sind. Auch die Herabsetzung politisch Andersdenkender findet sich an keiner Stelle. (3)

Sie schrieb einige wenige Gedichte im Auftrag des Reichspropagandaministeriums. Welche Konsequenzen die Verweigerung  solcher Gefälligkeitsarbeiten in der NS-Diktatur haben konnte, braucht hier wohl nicht näher erläutert zu werden. Trotzdem gelingt es Agnes Miegel, sich Freiräume zu verschaffen. So sagt sie in dem Gedicht Dem Schirmer des Volkes aus dem Jahre 1939, das zwar auch die von Goebbels erwarteten Elogen an Hitler enthält, nichts Geringeres als den nahenden Weltenbrand und Untergang voraus:

Wenn aus deinem First die Flammen steigen

wird des weißen Mannes Welt entbrennen

wenn sich deine Sonnenfahnen neigen

sinkt die Nacht über das Abendland!

 

Ein Jahr später, also noch vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, prophezeit Agnes Miegel in einem Sammelband des Diederichs-Verlages auch den bevorstehenden Verlust ihrer Heimat Ostpreußen: 

 

Und so sage ich jetzt, wo der Abschied näher kommt zu dem Land zwischen Weichsel und Memel, wie der Samurai zu der edlen Braut, der er sich vor dem Schrein seiner Ahnen verlobt: ich vermähle mich dir für die nächsten vier Inkarnationen. (4)

 

Propaganda für den "Größten Feldherrn aller Zeiten" sieht anders aus. Die Behauptung, Agnes Miegel sei eine „bekennende Verehrerin Adolf Hitlers“ gewesen, ist - vor dem Hintergrund dieses äußerst pessimistischen Blickes der Dichterin in die Zukunft - mehr als gewagt. Auch als „literarisches Aushängeschild des NS-Regimes“ taugte sie damit nicht.

 

Eine "Hinwendung zu Blut-und-Boden-Themen", wie zuweilen behauptet, gibt es bei Agnes Miegel nicht. Sie hatte ihren Stil, der stets geprägt war durch die Liebe zu ihrer Heimat Ostpreußen, schon lange vor der Machtergreifung der Nazis entwickelt. (5)

 

Agnes Miegel wurde übrigens erst 1940 - wie weit unter politischem Druck? - Mitglied der NSDAP. Das spricht wohl eher für eine weitgehend unpolitische Haltung der Dichterin. (6) Die Mitgliederzahl der NSDAP belief sich bereits 1939 auf 8,5 Millionen - darunter natürlich auch Tausende Prominente.

 

Die Dichterin pflegte während des "Dritten Reiches" und in der Nachkriegszeit eine freundschaftliche Beziehung zu Anneliese Goerdeler. Sie war die Ehefrau von Carl Friedrich Goerdeler, eine der zentralen Gestalten des Widerstandes gegen Hitler. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er verhaftet und von den Nazis hingerichtet. (7)

 

Innerhalb ihrer freundschaftlichen Verbindungen verwendete Agnes Miegel nie den "Deutschen Gruß". Wenn sie mit "Offiziellen" ein wenig bekannter war, bestellte sie herzliche Grüße oder Gott ergebenen Gruß - obwohl der "Hitlergruß" die für alle verpflichtende Grußform in der Zeit der NS-Diktatur war. (8)

 

Es steht fest, daß Agnes Miegel zeitlebens eine gläubige Christin war und auch in den Jahren 1933-45 nie von der Kirche und ihrem Calvinistischen Glauben abrückte oder gar Zugeständnisse machte. (9) Die Zukunft erschien ihr vorherbestimmt. Ihre auch veröffentlichten Vorahnungen der drohenden Katastrophe (s. o.) bestärkten sie in dieser Vorstellung.

 

Nach 1945 schlug die Stunde der "Wendehälse", die im Rahmen ihrer Entnazifizierungsverfahren behaupteten, eigentlich immer schon gegen den Nationalsozialismus gewesen zu sein. Agnes Miegel verweigerte sich einer solch verlogenen "Instant-Entnazifizierung". (10) Die Deutschen der NS-Zeit schienen ihr als von Gott alleingelassen. In dem Gedicht 1945 heißt es: Gott hat sein Antlitz abgewandt/Von unserem Heimatland. Sie glaubte deshalb, das Geschehene mit ihrem Gott „klären“ zu müssen: Dies habe ich mit meinem Gott alleine abzumachen und mit niemand sonst.

 

Die schließlich 1949 erfolgte Entnazifizierung Agnes Miegels brachte ein eindeutiges Urteil: Unbelastet. Wörtlich heißt es: Sowohl Motive wie Handlungen haben niemals NS-Geist verraten. (11)

 

Nach dem Ende des NS-Regimes äußerte Agnes Miegel in einem Brief an ihre spätere Biographin Anni Piorreck vom 31.8.1946 aus dem dänischen Flüchlingslager Oksböl all ihre Hoffnung auf ein gewandeltes, moralisch handelndes und bescheidenes neues Deutschland: ... zum ersten Mal auch faßte ich neuen Lebensmut durch die Gewißheit, daß da für Euch Jüngere und Eure Kinder aus aller Unrast und aller Not dieser Zeit ein neues besseres Deutschland aufwächst, ein kleines armes, aber nicht verarmtes Deutschland, wo jeder Willige seine Arbeit und sein Brot finden wird .... Ach möchte sich für alle ein Weg finden, an dem Aufbau dieses bescheiden gewordenen Deutschlands mitzuarbeiten. (12)

Damit hatte sich Agnes Miegel deutlich vom Nationalsozialismus distanziert und dem „neuen besseren Deutschland“ zugewandt.

 

Revanchistische und revisionistische Gedanken lagen Agnes Miegel fern. In einem Brief an die Schriftstellerin Ina Seidel aus dem Flüchtlingslager Oksböll vom 8. 8.1946 schreibt sie: Ein Teil meines Herzens starb, als ich von Ostpreußen ging. Nur manchmal erwacht etwas. Und als ich neulich hörte (ach, vielleicht wars auch bloß ein Gerücht), daß viele hundert russische Jungbauern hin sollen, habe ich zum erstenmal vor Freude geweint - dann geht doch wieder ein Pflug über die wüsten Felder, in den leeren Dörfern werden Menschen wohnen, Kinder geboren werden, zwischen den Wiesen und Äckern spielen, Vieh wird brüllen, Hähne werden krähn - und die Erde wird leben. (13)

 

An ihrem Alterswohnsitz in Bad Nenndorf  (seit 1948) versuchten ehemalige BDM-Führerinnen immer wieder, sich um die inzwischen alte Dichterin zu kümmern, welche damals in schwierigen finanziellen Verhältnissen lebte. Wie aus Briefen Agnes Miegels hervorgeht, war diese organisierte Fürsorge der Dichterin eher unangenehm, und sie versuchte immer wieder abzuwinken. 

 

In verschiedenen Veröffentlichungen ist nachzulesen, Agnes Miegel habe nach 1945 "Exklusivbeiträge" für die stark rechtslastige Zeitschrift Nation Europa verfasst. Eine Forschungsarbeit aus dem Jahre 2010 widerlegt diese Aussagen vollständig: In den Ausgaben der Zeitschrift finden sich lediglich wenige Nachdrucke von Agnes Miegel-Gedichten aus damals schon längst publizierten Gedichtbänden. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Dichterin selbst Kontakt mit der Zeitschriften-Redaktion hatte. (14)

 

Auch in der Bundesrepublik erhielt Agnes Miegel höchste Ehrungen. So wurde ihr 1959 der renommierte Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Künste verliehen. 1957 hatte Alfred Döblin den Preis erhalten. An ihrem Alterswohnsitz in Bad Nenndorf bei Hannover empfing sie viele prominente Besucher und Verehrer aus Literatur und Politik, darunter im Juli 1961 Willy Brandt, damals Kanzlerkandidat der SPD und Regierender Bürgermeister von Berlin. 1969 wurde die literarische Agnes-Miegel-Gesellschaft in Bad Nenndorf gegründet. 1979 erschien eine Briefmarke der deutschen Bundespost mit dem Konterfei der Dichterin.

 

Für den wohl wichtigsten deutschen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki gehören mehrere Balladen Agnes Miegels zum Kanon lesenswerter deutschsprachiger Werke - also zu den herausragenden Werken deutscher Literatur. (15) Agnes Miegel gilt als die größte Dichterin Ostpreußens im 20. Jahrhundert und als die wichtigste deutsche Balladendichterin ihrer Zeit.

 

Eine Umbenennung von Agnes-Miegel-Straßen ist nach dem aktuellen Forschungsstand sachlich in keiner Weise mehr zu rechtfertigen. Die Agnes-Miegel-Gesellschaft lehnt daher solche Bestrebungen ausdrücklich ab.

 

Dr. phil. Marianne Kopp, Stadtbergen

(1. Vorsitzende der literarischen Agnes-Miegel-Gesellschaft, Bad Nenndorf)                                                                  

Detlef Suhr, Edewecht

(Agnes-Miegel-Gesellschaft)

23.1.2011  

 

Einzelnachweise:  

1.

Agnes Miegel: Brief an Lulu von Strauß und Torney vom 22.8.1923, veröffentlicht in "Agnes Miegel - Gedichte und Prosa", Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln, 1977  

2.

Unaufgefordertes Votum Hans Grimms zum Entnazifizierungsverfahren von Agnes Miegel, 3.1.1949

3.

Biographie auf der Internetseite der Agnes-Miegel-Gesellschaft (http://www.agnes-miegel-gesellschaft.de/biographie/index.html)

4.

Agnes Miegel - Dichterin Ostpreußens (http://www.nonpop.de/nonpop/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=1091&high=hannover)

5.

Agnes-Miegel-Gesellschaft - Wir über uns (http://www.agnes-miegel-gesellschaft.de/gesellschaft/index.html)

6.

Stellungnahme Prof. Paul Leidingers vom 1.7.2010 zu Berichten in den Westfälischen Nachrichten über Agnes Miegel: Agnes Miegel und Warendorf (http://agnesmiegel.wordpress.com/2010/07/01/agnes-miegel-und-warendorf/)

7.

Agnes-Miegel-Gesellschaft - Wir über uns (http://www.agnes-miegel-gesellschaft.de/gesellschaft/index.html)

8.

Auskunft von Frau Dr. phil. Marianne Kopp, Stadtbergen 

9.

Auskunft von Frau Dr. phil. Marianne Kopp, Stadtbergen 

10.

Richard Wagner: Die Miegel und ihr Michel in Die Achse des Guten, (http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_miegel_und_ihr_michel/)

11.

Biographie auf der Internetseite der Agnes-Miegel-Gesellschaft (http://www.agnes-miegel-gesellschaft.de/biographie/index.html)

12.

Agnes Miegel: Brief aus dem Flüchtlingslager Oksböl/Dänemark an Anni Piorreck vom 31.8.1946, veröffentlicht in "Agnes Miegel - Gedichte und Prosa", Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln, 1977 

13.

Agnes Miegel: Brief aus dem Flüchtlingslager Oksböl/Dänemark an Ina Seidel vom 8.8.1946, veröffentlicht in "Agnes Miegel - Gedichte und Prosa", Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln, 1977 

14.

Dr. phil. Marianne Kopp: Agnes Miegels „Exklusivartikel“ in der Zeitschrift „Nation Europa“ – ein Windei, eifrig kolportiert, veröffentlicht am 1.12.2010 auf Aktuelle Seiten der literarischen Agnes-Miegel-Gesellschaft e.V.  (http://agnesmiegel.wordpress.com/2010/12/01/)

15.

Marcel Reich-Ranicki: Der Kanon. Die deutsche Literatur. Gedichte, Insel-Verlag, 2005

 

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